Das Phänomen des Gebens und der Gabe ist in zahlreichen Diskursen der unterschiedlichsten wissenschaftlichen Richtungen ein immer wiederkehrendes Problemfeld, mit dem sich ausgiebig beschäftigt wurde und wird. Als ein zentraler Denker der Gabe gilt der französische Soziologe Marcel Mauss, der 1923/24 mit seinem Essai sur le don (dt. „Die Gabe“) den Austauch, die Gabe als eine umfassende und ganz zentrale gesellschaftliche Tätigkeit in archaischen Gruppen herausarbeitet. Mauss geht soweit, dass die Gabe nicht nur wirtschaftliche Dimensionen des Homo oeconomicus betrifft, sondern wesentlich tiefer in den sozialen Kontext eingebettet ist, der religiöse, ästhetische, juristisch, ökonomische, mythologische Dimensionen gleichzeitig von innen heraus betrifft.
Mauss' zentrale These beruht auf der Beobachtung, dass es in archaischen Gesellschaften eine scheinbare Freiwilligkeit der Gabe gibt, diese aber dann dennoch mit einer gewissen Form der Verpflichtung einhergeht. Insofern ist die Gabe auch zu unterscheiden von einem ökonomischen Tauschhandel, in dem Werte gegen Werte ausgetauscht werden. Aber die Gabe scheint immer eine Gegen-Gabe zu verlangen und eine Verweigerung bei diesem Gabezirkel mitzuwirken kommt einer Kriegserklärung gleich. Denn, so Mauss, durch die ritualisierten Gabehandlungen werden starke Bände zwischen den Individuen einer Gruppe gefördert und verfestigt. Zugleich symbolisiert die ritualisiere Gabe die Beziehung der Menschen zur Natur, den Toten und den Göttern. „Alles, was das eigentliche soziale Leben der Gesellschaften ausmacht, die den unseren vorausgegangen sind – [...] – ist darin verwoben. In diesen [...] totalen gesellschaftlichen Phänomenen kommen alle Arten von Institutionen gleichzeitig und mit einem Schlag zum Ausdruck: religiöse, rechtliche und moralische – Politik und Familie fallen hier zusammen; ökonomische – diese setzten besondere Formen der Produktion und Konsumation oder vielmehr der Leistung und Verteilung voraus; ganz zu schweigen von den ästhetischen Phänomenen, in welche jene Tatsachen müden, und den morphologischen Phänomenen, die sich in diesen Institutionen offenbaren“ (Mauss, S. 17f).
Mauss fragt sich demnach zurecht, was denn im Phänomen der Gabe „für eine Kraft [liegt], die bewirkt, daß der Empfänger sie erwidert?“ (Mauss, S.18). Mauss scheint einer gesellschaftsbestimmenden und formenden Kraft auf der Spur zu sein, die wesentliches zum Verständnis des gemeinsamen Lebens, des Mitsein, geben könnte.
Auch der französische Philosophen Jacques Derrida hat sich intensiv mit dem Problemfeld der Gabe auseinandergesetzt und ist auch immer wieder auf dieses Thema zurückgekommen. In seinem Buch Falschgeld. Zeit geben I expliziert Derrida ausführlich die Fragen, was den unter Gabe, Geben und dem Gabe-Ereignis zu verstehen sei. Zentral arbeitet Derrida heraus, dass die Gabe in einem gesellschaftlichen Kollektiv nur unter der Einhaltung einer ternären Struktur stattfinden kann. Diese Struktur läßt sich recht einfach darstellen: „irgendeiner (A) hat die Intention B an C zu geben“ (Derrida, S. 21). Diese Dreigliedrigkeit von Gebendem, Gabe und Gabeempfänger scheint einleuchtend und unumgänglich, da ansonsten ein Gabeereignis nicht stattfinden könnte. Derrida sieht allerdings hier einen fundamentalen Fehler, der die Gabe als Gabe nicht in den Blick kommen läßt. Für Derrida ist die Gabe nur als Gabe zu verstehen, wenn sie jegliche Form der Reziprozität umgeht. Die Gabe ist eigentlich immer davon bedroht zu einem Tauschobjekt zu mutieren, das nach einer Gegen-Gabe verlangt und somit ein Teil eines ökonomischen Systems wird. In Derridas Verständnis muss die Gabe aber befreit von jeder Form der Rück-Gabe und Zirkulation sein – die Gabe muss schuldenfrei sein und außerhalb jeglichen wirtschaftlichen Kalküls stehen. Das gilt für alle Beteiligten. Die reine Gabe ist nicht als solche zu bezeichnen, wenn der Gebende etwa weitere Besitzansprüche stellt oder vom Gabeempfänger etwas haben möchte, und sei es nur ein Dankeschön. Denn ist dies der Fall, sieht der Gebende das Gegebene immer noch als etwas in seinem Besitz stehendes. Es ist immer noch seine Gabe, die er zwar hergegeben hat, aber auf jeden Fall etwas zurückverlangt. Solange dies nicht geschieht, bleibt die Gabe in der Präsenz des Gebenden. „Um jedes symbolische Äquivalent eines Austausches oder Rückgabe, z.B. in Form von Dankbarkeit, auszuschließen, darf der Gabeempfänger die Gabe nicht einmal als solche anerkennen. Ebenso darf der Gebende keine wie auch immer geartete Gegenleistung erhalten oder erwarten - ja so Derrida, seinen (selbstlosen) Gabeakt 'nicht einmal im Gedächtnis behalten'“ (Flatscher, S. 40). Dies führt zu einer paradoxen Situation. Weder der Geber noch der Gabeempfänger dürfen die Gabe als Gabe nicht anerkennen – die Gabe als Gabe gibt es nur, wenn nicht erscheint, wenn der Gabeakt jeweils schon von einem Entzug gekennzeichnet ist. Jeder Versuch der Gabe habhaft zu werden, sie zum Erscheinen zu bringen führt zwischen Menschen immer zu einer Zerstörung der reinen Gabe. „Folglich gibt es keine Gabe, wenn es keine Gabe gibt, aber eine Gabe gibt es auch dann nicht, wenn es eine Gabe gibt, die von anderen als Gabe gewahrt oder bewahrt wird; in jedem Fall existiert und erscheint die Gabe nicht. Wenn sie erscheint, erscheint sie nicht mehr“ (Derrida, S. 26). Derrida stellt hier also explizit in Frage, ob es so etwas wie eine reine Gabe zwischen Menschen denn überhaupt geben kann. Die reine Gabe ist somit dem Menschen nicht verfügbar und die Frage nach dem bewußten Geben oder Empfangene einer Gabe äußerst fragwürdig geworden. Die oben beschrieben Trias scheint für die reine Gabe nicht anwendbar zu sein. Die Gabe ereignet sich offenbar in einer anderen Weise, zu der der Mensch zwar einen Zugang hat und auch grundsätzlich fähig ist, aber zwischenmenschlich auf eine andere, dem Wesen der Gabe nicht entsprechenden Form. Die reine Gabe ist nicht in der Aktivität eines souveränen Subjekts verortet, hat ihren Ursprung, ihren Grund nicht im Subjekt oder Objekt, ihre Quelle ist nicht in der menschlichen Vernunft. „Die Gabe wäre etwas, das nicht dem Vernunftsprinzip gehorchen würde: sie ist ohne Vernunft, sie muss ohne Vernunft sein und sie hat ohne Vernunft zu sein, ohne warum und ohne Grund“ (Derrida, S. 200).
Der Weg über Derrida hat uns nun in eine schwierige Lage gebracht. Die Phänomenalität der reinen Gabe, ihre nicht Verfügbarkeit und ihr ständiger Entzug scheint für eine ökonomische Debatte eigentlich ziel- und nutzlos. Wie sollte die nicht faßbare Gabe wesentlich werden für das Verständnis wirtschaftlicher Systeme, die doch gerade auf dem ontisch verstanden Gabecharakter beruhen? Die Gabe scheint sich in ihrem eigentlich Wesen doch gerade zu entziehen und eben kein Teil unseres täglichen Zusammenlebens zu sein. In herkömmlichen Ökonomien scheint das wesentliche Prinzip das Geben und Nehmen zu sein, und gerade diese Bewegung scheint beim Nachdenken über die Gabe plötzlich substanzlos, fast so, als wäre die Gabe etwas was in unserer Welt nicht vorzufinden ist. Die reine Gabe ist in kein funktionierendes ökonomisches System einzugliedern, da sie dieses System ad absurdum führen würde. Sie ist aber in ihrer reinen Form immanenter Bestandteil des Systems. Denn 'es gibt' so etwas wie ökonomische Systeme, in denen die Menschen miteinander zu Gebenden und Gabeempfänger werden können. Und es gibt Dinge, die gegeben und empfangen werden können. Die Gabe in ihrem reinen Wesen scheint also gerade der Ermöglichungsgrund für Wirtschaft zu sein, gleichzeitig entzieht sie sich aber aus auch aus diesem System. Dass es so etwas wie Ökonomie überhaupt gibt, scheint also ganz Eng mit dem Phänomen der ursprünglichen Gabe in Zusammenhang zu stehen. Dieser Denkbewegung folgend trifft Derrida nicht ohne Grund auf Martin Heidegger, der in seinem Ereignisdenken die Gabe in einem ähnlichen Sinne denkt. Derrida weist in seinem Buch, bei einer ansonsten ganz starken Abgrenzung zu Heidegger, auf die von ihm eröffnete ontologische Differenz hin: „Folglich müßte die Frage nach der Gabe ihren Ort vor jedem Subjektbezug suchen, vor jedem Selbstbezug des bewußten oder unbewußten Subjekts; und genau das geschieht bei Heidegger, wenn er hinter die Bestimmung des Seins als eines substantiellen Seienden, hinter Subjekt und Objekt zurückgeht. (…) Nie wir ein Subjekt einem anderen Subjekt ein Objekt geben. Vielmehr sind Subjekt und Objekt stillgelegte Effekte der Gabe“ (Derrida, S. 36f).
Die Menschen in ihrem alltäglichen Verständnis als maître et posseseur de la nature, als aktive, handelnde und gebende Subjekte, die über Objekte in ihrer Vorhandenheit verfügen können, sind stillgelegte Effekte der Gabe. Dass also so etwas wie Tauschhandel zwischen Menschen überhaupt in dieser Form sein kann, sind Effekte der Gabe. Stillgelegt sind die Effekte deswegen, weil sie nicht mehr als Effekte der Gabe, als gegebene Entitäten wahrgenommen werden und das Denken außerhalb des Subjekts nicht mehr vollzogen werden kann. Das Sein der Gabe zu denken, so wie es Derrida tut, führt dazu, dass es dem Menschen aufgehen kann, dass er eigentlich nicht der Gebende ist, sondern immer schon in die Gabe eigelassen ist; die Gabe ist so verstanden ein im heideggerischen Sinne Existenzial, wie das Mitsein, der Tod, die Befindlichkeit, die Zeitlichkeit oder die Sprache sind.
Heidegger denkt die Gabe als ein „Es gibt“, und dieses es, dass gibt, ist das Sein selbst. „Das 'gibt' nennt jedoch das Gebende, seine Wahrheit gewährende Wesen des Seins. Das Sichgeben ins Offene mit diesem selbst ist das Sein selber“ (Heidegger, 2000, S. 26). Dieses 'Es' ist aber ungenau formuliert, denn das Sein selbst ist eben kein Objekt, das hier gibt, sondern die Gabe an sich ist gemeint. Die reine Gabe von Derrida macht nun wieder Sinn, weil es kein subjektiv verstandenen Geber der Gabe gibt, sondern es ein Gabe ist, die existenzial verstanden erst so etwas wie das ontische geben ermöglicht. Das Sein als der Grund aller Dinge. „Der Gaben empfangen wir viele und von mancherlei Art. Die höchste und eigentlich wahrende Gabe an uns bleibt jedoch unser Wesen, mit dem wir so begabt sind, daß wir aus dieser Gabe erst die sind, die wir sind“ (Heidegger, 2002, S. 146). Und in Zur Sache des Denkens schreibt Heidegger: „Der Mensch innestehend im Angang von Anwesenheit, dies jedoch so, daß er das Anwesen, das Es gibt, als Gabe empfängt, indem er vernimmt, was im Anwesenlassen erscheint. Wäre der Mensch nicht der stete Empfänger der Gabe aus dem »Es gibt Anwesenheit«, erreichte den Menschen nicht das in der Gabe Gereichte, dann bliebe beim Ausbleib dieser Gabe Sein nicht nur verborgen, auch nicht nur verschlossen, sondern der Mensch bliebe ausgeschlossen aus der Reichweite des: Es gibt Sein. Der Mensch wäre nicht Mensch“ (Heidegger, 2007, S. 16f).
Die Gabe ist dann keine leere Worthülse mehr, sondern vielmehr wesentlich konstitutiv für den Menschen als Menschen. Der Mensch ist Mensch, weil ihm von Sein, vom Leben Gaben zuteil werden, die ihn erst als Mensch in seiner alltäglichen Welt erscheinen lassen. Kommt es zu einem Vergessen, verdrängen dieser Gabe, zu einer Seinsvergessenheit, gerät der Mensch in die Not sich nur mehr von den täglich Anwesenden Dingen der scheinbar wirklichen Welt blenden zu lassen. Er irrt dann in dieser Welt umher, ohne jemals zu sich zu kommen, da dieses zu sich kommen aber auch das zu anderen kommen, das Zur-Welt kommen fundamentalontologisch mit der Fähigkeit des Menschen verwoben ist, Seinsverstehend zu sein. Ohne die Reflexion, das sich einlassen in die Gabe, sowohl ontologisch als auch ontisch-ökonomisch verstanden, geht dieses Denken an dem vorbei, was Tausch, Handeln, Gabe, Geschenk, diese Elementarteilchen der menschlichen Zusammenlebens von ihrem Wesen her sind. Eine Ökonomie, die die Gabe von ihrem Wesen her versteht, kann eine menschgerechte, dem Menschen entsprechende Ökonomie erwachsen.