Wille
Wille I
Um dem Willen auf die Spur zu kommen, hilft uns die Beobachtung von Äußerungen des Willens weiter: Wenn eine Billardkugel angestoßen wird, liegt der Willensimpuls nicht in der Kugel, sondern in dem, der die Kugel angestoßen hat, also gänzlich außerhalb der Kugel. Wo liegt aber der Wille beim Wachstum organischer Dinge, Beispielsweise einer Blume? In der Blume oder außerhalb? Oder am Rande des Organismus? Das ist schwer zu bestimmen. Ein Mensch, der ja auch klein beginnt sagt auf jeden Fall nicht: ich will jetzt wachsen und dann wachst er. Der Impuls zu wachsen entzieht sich unserem Bewusstsein – das Wachstum geschieht also einfach, liegt in der Natur der Sache. Die Art des Wachstums kann aber durch äußere Umstände modifiziert werden. Die Wasserzufuhr und die Sonneneinstrahlung beschleunigen oder hemmen das Wachstum. Die Tatsache des Wachstums und der Wachstumstrieb aber bleiben. Ursache und Wirkung können bezüglich des Willens zum wachsen nicht getrennt gefunden werden.
Wie liegt die Sache aber, wenn sich ein Regenwurm durch unsere Berührung krümmt und zusammenzieht, oder sich eine Schnecke in ihr Haus verkriecht, wenn wir sie berühren? Die Wirkung der Berührung erfährt verglichen mit der Billardkugel eine Modifikation, die in der Organisation des Tieres liegt. Es ist ein Reflex zu beobachten, der weder rein mechanisch noch rein organisch ist, vielmehr auf dem Instinkt des Tieres beruht. Ähnlich verhält es sich bei höheren Tieren im Bereich der Nahrungssuche, der Fortpflanzung, usw. Immer stärker spielen aber Gefühle eine Rolle und mit dem Entwicklungsgrad des Tieres nimmt auch die Autonomie der Reaktion zu. Während ein Regenwurm sich durch die Berührung krümmen muss, kann ein Pferd auf eine Berührung sehr unterschiedlich reagieren. Und doch hat das Pferd nicht vollkommene Autonomie in der Reaktion. Das Verhalten bleibt mit seinen Instinkten eng verknüpft.
Auch beim Menschen sind alle diese Ebenen vorhanden. Beim Schlag in die Magengrube muss er sich unweigerlich krümmen. Hunger, Sexualtrieb und vieles mehr ist ihm eingeschrieben wie dem Tier. Die Autonomie der Reaktion ist aber ungleich höher als bei jedem Tier: Der Mensch hat die Möglichkeit, seinen Willen zu entwickeln und auszubilden. Der Wille ist auf eine Stufe gekommen, auf der er sich der Gestaltung des Denkens zur Verfügung stellt, sodass der Mensch Kathedralen bauen, Bilder malen, Sport treiben kann. Zugleich ist es möglich, dass der Mensch durch sein Denken die Triebe und Begierden zügeln, ordnen und gestalten kann.[1] Er ist sogar in der Lage, seine Triebnatur bis zu einem sehr hohen Grad zu „läutern“. Die bis zu einem gewissen Grad erreichte „Läuterung“ ist Bedingung für unsere soziale und kulturelle Lebensweise. Wenn gewisse Triebe und Leidenschaften (z.B. Gier, Rache, Wut,...) dennoch die Oberhand gewinnen und jemand ermordet, beraubt oder verprügelt wird, übernimmt das Gesetz und der gesamte Rechtsapparat unserer Staaten die Aufgabe damit fertig zu werden, bzw. weiteren Schaden zu verhindern. Hätten wir keine Gesetzgebung und würden wir unsere Triebe und Leidenschaften nicht im Griff haben, hätte unsere Lebensweise einen vollständig anderen Charakter. Daher ist die „Läuterung“ unserer Triebnatur zentrale Aufgabe einer kultivierten Gesellschaft. Höhere Bedürfnisse wie Selbstverwirklichung, machen überhaupt erst unter dieser Voraussetzung Sinn.
Während also das Denken herabgestiegen ist, bis es die Dinge und den Willen ergreifen konnte, ist das ein Geschehen auslösende Element, der Wille, aufgestiegen bis er sich dem autonomen Denken zur Verfügung stellen konnte.
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[1] Vgl. Rudolf Steiner: Die Geheimwissenschaft im Umriss, Seite 309 ff, Rudolf Steiner Verlag Dornach, Schweiz, 1993
Kommentare
...angeregt durch ein sehr feines Buch „Zukunft“[1] folgender Gedanke. Wille und Liebe sind zwei Begriffe die in meinem Alltag einen sehr unterschiedlichen Einsatz finden, jedoch das gleiche Prinzip zu fassen versuchen. Was will ich? Dinge (Dinge, Beziehungen, Aktivitäten, Entwicklungen, Gegenstände) dich ich “liebe“. Ich liebe meine Freundin (und will Sie als meine Partnerin), ich liebe es in den Bergen zu sein (Ich will in die Berge). Bei Gegenständen drücken wir es meist schwächer mit “mögen“ aus. Ich mag Autos, Uhren, Mountainbikes und natürlich mir Bücher und Wein kaufen.
Ich will was ich liebe. Lieben heißt aber auch der anderen Person, dem Ding Raum zur Entfaltung zu geben. Entfaltungsraum der allen Dingen schon inne-liegt. Sprich in diesem „Lieben“ (=Wollen) schwingen auch die Bedürfnisse des Gegenübers, der Aufgabe, des Dinges mit.
Zur Selbstverwirklichung. Ob das einfach nur ein Bedürfnis oder nicht schon wieder ein Sprachverwirrung ist? Wachstum, Entwicklung sind doch Ausdruck des “lebendig Sein“. In eine ähnliche Kategorie würde ich den Willen stellen (Motor des Wachstums).
[1] Brotbeck, Stefan; Zukunft; Aspekte eines Rätsels
Sehr sehr interessanter Ansatz: "... dem Ding Raum zur Entfaltung zu geben." Das ist wirklich schön! Eine Frage stellt sich mir dabei und zwar aus folgender Überlegung: Der Wille kann ja auch anders. Er kann ja auch einengen. Der Entführer sperrt den Entführten durch seinen Willen ein. Ist es nicht so, dass der Wille sich zur Liebe entwickeln kann? aber was beinhaltet diese Entwicklung und was unterscheidet den herrschenden vom liebenden Willen? Ich glaube wir sind da an einer zentralen Frage der Ethik. Was meinst du? wenn wir darauf eine gute antwort finden, können wir einen Artikel mit der Überschrift "Ethik" schreiben, was uns hinsichtlich unseres zentralen Themas - dem der Banken - wieder näherbringen wird.
Diese Erweiterung gefällt mir wirklich gut. Ich denke, dass der herrschende Wille eben auf die Situation (das Ding, das Gegenüber) keine Rücksicht nimmt. Es sind dann eine einseitige Bedürfniserfüllung.
Ethik bei Banken. Da müssen wir zuerst ausführlich diskutieren, was den Ethik ist. Meiner Meinung nach sind wir da schon über die Bedürfnisdiskussion ziemlich nah dran.
Eine konsequente Erneuerung der Ausrichtung auf die Kundenbedürfnisse. "Liebevolle" Kundenbeziehungen würden meinen, dass das Management stärker versucht langfristig Kundenbedürfnisse zu erfüllen. (Den Kunden Raum zur Entfaltung schaffen etc. In eine ehrliche Kundenbeziehung zu treten,..) Das ist dann auch Raum für Gewinnmargen die nachhaltig sichern, etc. Limitierende Faktoren sind z.B. die hier die im Stakeholder Artikel definierten kurzfristigen Zeiträume (4 Jahres Mandate, Quartalszahlen vs. langfristige Innovationen)
Gibt es eine systemische Ethik einer Bank? Oder ist Ethik nicht höchst individuell. Siehe deine Antwort zu Barbara im Bezug auf Gesellschaften.
Ich möchte noch einen Schritt zurück machen, weil ich folgendes Problem hab: Es gibt, wie du sagst einen herrschenden und einen liebenden Willen. Meine Frage ist: können wir einfach zwischen beiden wählen - und warum wählen wir dann in der Regel den herrschenden Willen? Und was ist der Unterschied in Bezug auf das Denken? Es muss ja eine fundamentale Unterscheidung in der Motivbildung geben, sonst ist der unüberbrückbar große Unterschied nicht zu erklären. Und wenn wir den Unterschied kennen: Wie sieht der Weg zum liebenden Wollen aus? Kann man das üben?
mir scheint der Unterschied zwischen herrschenden und liebenden Willen gar nicht so groß. Unüberbrückbar wird der Unterschied, wenn das eigene Wollen sehr groß und dimetral zum Wollen des Anderen (Ding, Situation, Gegenüber) ist. Wenn sich aber das Wollen entspricht, dann ist da kein Unterschied. Eine Möglichkeit liegt im üben des "Zurücknehmen des eigenen Wollen" (Buddhismus). Eine andere Möglichkeit ist, sich einfach nur auf jene Dinge einzulassen, die dem eigenen Wollen entsprechen - Nicht den Willen über Dinge, Personen, Situationen zu stülpen, die meinem Willen nicht entsprechen. Ich spreche an und schaue wie die Rücksprache (meines Gegenübers, der Situation) ist - daraus ergibt sich ein entsprechen. Liebendes Wollen beeinhaltet wohl immer ein Wohlwollen. Was ist Wohlwollen einem Menschen gegenüber? Das er sich entfaltet/wächst.