Philosophie
Heidegger I - Der Mensch
Martin Heidegger beschreibt in “Sein und Zeit[1]“ den Menschen phänomenologisch auf eine grundsätzliche Weise. Grundsätzliche Beschreibungen des Menschen sind für uns spannend, da der Mensch im Zentrum dieser Seite steht. Nach der jüngsten wohltuenden psychologischen Erneuerungswelle in der Ökonomie, steht eine philosophische Erneuerung an. Den auch mit der psychologischen-neurologischen Analyse werden wir zu keinem umfassenden Verständnis des Menschen kommen. Der Mensch ist offen, geheimnisvoll und entzieht sich in seiner Vollständigkeit der Beschreibung durch diese Methoden. Die Philosophie (und vielleicht auch die Theologie?) bleiben als (zusätzliche) Werkzeuge notwendig. Anzeichen für diese nächste Welle der philosophischen Fundierung gibt es. Zum Beispiel das rege Interesse an Thomas Sedlacec[2], der in seinem aktuellen Buch die theologischen und philosophischen Mythen der Ökonomie analysiert. Er erinnert uns, dass Ökonomie keine wertefreie Wissenschaft ist. Unsichtbar, vergraben liegen unausgesprochen Werte, Philosophie, Ethik und Moral, selbst in den scheinbar neutralsten Werken wie Varians Lehrbuch[3] aus dem ich Mikroökonomie gelernt habe. Genau darum wollen wir auf banktank eine offene, fragende philosophische Diskussion in Verbindung mit ökonomischen (Bank) Fragen.
Was macht den Menschen aus? Die folgenden Auszüge sind lediglich Fragmente aus “Sein und Zeit“, das selbst wiederum keine abschließende Behandlung darstellt. Eine Beschreibung, die Heidegger aus Alltagsbeobachtungen abgeleitet hat und - daher meiner Meinung nach– ideologiefrei ist. Ein tragbares Menschbild als Basis für weitere ökonomische Diskussionen.
Der Mensch wird wieder komplexer, widersprüchlicher und geheimnisvoller.
1. Frei- und Offensein. Der Mensch ist prinzipiell frei zu Wachsen und zu Reifen. Nicht jedoch frei von Verantwortung (Punkt 3), Beziehungen (Punkt 4) oder frei von Schicksalsschlägen (Punkt 2).
2.Geworfen. Der Mensch ist in sein Leben und die Umstände geworfen. Wir haben es uns nicht ausgesucht, sondern können nur damit umgehen.
3. Sorgetragen. Es geht uns immer und notwendig um uns selbst. Da-sein (»zu sein«) ist die unumgängliche Aufgabe des Menschen[4].
4.Mitsein. In-der-Welt-sein ist immer zugleich Mitsein. Das ist Fluch und Segen. Wir sind dem Man „verfallen“. Das Soziale ist Teil von uns, beengt uns aber auch in der Selbstentfaltung. Man tut, macht - Erinnert mich immer an den Beauty Contest von Keynes[5].
5. Angst und Tod. Wir haben Angst und Sorge um unsere Existenz aufgrund der Endlichkeit des Daseins, das von Anfang an ein Sein zum Ende ist. Das Ende kann ein absolutes Ende oder das Ende des irdischen Lebens sein.
6.Räumlich sein. »Das geht mir nahe«, »du weichst mir aus«, »sich Raum nehmen/Raum geben« usw. Menschen leben in der geistigen Wahrnehmung nicht nur im klassischen geometrischen Raum[4].
7.Zeitlich sein. Ähnlich wie beim Räumlich sein, leben wir nicht nur in der linearen, eindimensionalen chronometrischen Zeit. Wir sind gleichzeitig in der Vergangenheit und in der Zukunft. Starke Erfahrungen aus der Vergangenheit walten in die Gegenwart usw. Spannend im Kontext von Finanzprodukten die eine starke eindimensionale Linie über unser Leben legen.
8.Gestimmtheit. In der Gestimmtheit zeigt sich unmittelbar, ob und wie mich etwas angeht. Es gibt kein Dasein, das in seinem Weltverhältnis ungestimmt ist. Es gibt keinen reinen rationalen Weltbezug (siehe Dialog Ratio und Emotionen). Emotionen, Leidenschaften und Affekte sind Teil der Gestimmtheit.
9.Leiblichkeit. Unsere Sinne öffnen einen (leiblichen-) Raum der weiter als der Körper ist. Wir sind im „körperlichen“ wenn wir Sehen-, Hören-, Tasten-, Riechen- und Schmecken.So treten wir in Verbindung mit Welt. Das waren nur Auszüge. Die Liste ist länger und offen.
Der Mensch ist komplex, widersprüchlich und geheimnisvoll. Freie (“Frei sein“) und unfreie Elemente (“Geworfenheit“) treffen auf selbst fokussiertes “Sorgetragen“ in Kombination mit “Mitsein“. Im Geistigen werden räumliche und zeitliche Dimensionen modelliert und gleichzeitig definieren die Sinne körperliche Wahrnehmungsräume. Bei jeder Modellierung setzen wir diese Komplexität auf Null, damit wir zu klaren Ergebnissen kommen. Das gibt klare Ergebnisse, birgt jedoch immer die Gefahr, dass wir den Menschen unabsichtlich eliminieren. Sowohl meine Diplomarbeit als auch meine werdende Dissertation sind übrigens rein mikroökonomisch-mathematische Arbeiten. Diese zusätzliche wichtige Perspektive der Philosophie nimmt diesen Methoden keinen Raum. Offensichtliche ökonomische Ansatzpunkte zu diesem skizzierten Menschenbild sind zum Beispiel: Risikoversicherungen, die die Geworfenheit materiell abschwächen, Sorgetragen im Sinne der Vorsorge für das Alter oder Sorgetragen im Sinne vom verantwortungsvollen Umgang mit Konsumbedürfnissen im Jetzt. Neue Fragestellungen wären z.B., wie und wo sich das “räumlich sein“ und “zeitlich sein“ im Wirtschaftsleben zeigt. Welche Auswirkungen haben Kredite die eine starke lineare chronologische Spur durch das Leben ziehen? Wo wirken die von Keynes beschriebenen Beauty Contests (=“Verfallenheit“) besonders stark gegen die Selbstentfaltung?
Heidegger bietet spannende Spuren ins Denken, zum Mensch. Das viel zitierte Faktum, dass er sich – wie viele andere Menschen auch - im eigenen Leben zumindest einmal gründlich verlaufen hat, tut dem Wert seiner Gedanken keinen Abbruch. Der Umgang mit seinen Gedanken braucht genauso viel kritische Obacht wie bei Nietzsche.
[5] “It is not a case of choosing those [faces] that, to the best of one’s judgment, are really the prettiest, nor even those that average opinion genuinely thinks the prettiest. We have reached the third degree where we devote our intelligences to anticipating what average opinion expects the average opinion to be. And there are some, I believe, who practice the fourth, fifth and higher degrees.” (Keynes, General Theory of Employment Interest and Money, 1936).
Kommentare
Was meinst Du. Wenn man diese neun Punkte aufgreift und - rein hypothetisch - als grundlegende Gesichtspunkte einer "neuen Betrachtung der Ökonomie" heranziehen würde. Was käme dabei heraus? Z.B: der Mensch ist frei zu wachsen. Oder das Räumlich sein. Ist das in dem wie wir Ökonomie verstehen schon enthalten? Oder finden wir durch diese Gesichtspunkte neues? Ich fände es spannend, dazu noch Deine Gedanken zu hören.
Der zweite Punkt ist ein möglicher neuer Beitrag der Philosophie (bzw. auch Theologie) zu den Wirtschaftswissenschaften. Diesen Gedanken finde ich besonders spannend, da sich die ökonomische Disziplin ja aus der Moralphilosophie entwickelt hat. Man würde wieder eine neue (alte) Dimension eröffnen und die Frage ist natürlich, wo das hinführt. Hast du eine Idee, wie oder auf welche Art diese Disziplinen wichtig werden könnten (oder schon sind)?
1.) Zu deiner ersten Frage. Da fehlen mir in der Tat die ansonsten oft von mir geforderten konkreten Ansatzpunkte. Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube/denke/hoffe, dass es sich lohnen wird.
2) Zu deiner zweiten Frage. Im Umfeld des Wiener Kreises hat es ja den Wunsch gegeben, die Ökonomie von der Philosophie und der Theologie zu befreien. Das war damals extrem wichtig. Der mathematisch getriebene Entwicklungsschub wäre nicht möglich gewesen, mit komplexen “unhandlichen“ Ballast. Wie sieht es aber jetzt aus?
Bei Heidegger kommt ja immer weider durch, dass seine Gedanken existenziell zu verstehen sind. Es geht aus dieser Perspektive demnach nicht darum, neue Modelle zu finden, sondern einen neuen Hunger und Durst nach ideellen Inhalten. Du sprichst die alte Weisheit an: Ich frage mich wie die entstanden ist. War es einfach ein Hilfskonstrukt zur Erklärung der Welt? Oder eben das Ergebnis eines existentiellen Bedürfnisses? Wer weiss das schon? Wenn wir Kultur und gedankliche Inhalte als Sahnehäubchen des gesellschaftlichen Lebens (bei dem es ernsthaft nur auf die Wirtschaft ankommt) ansehen, kommen wir da glaube ich nicht weiter. Kulturelle Diskurse könnten ja mit dem gleichen Anspruch geführt werden wie ökonomische - auch mit der gleichen Breitenwirkung. Das ist ja aber nicht der Fall. Vielleicht ist da bei Heidegger das grundlegend Neue bzw. Wiederaufgenommene zu finden. Das hiesse für uns aber: Wie können wir lernen, Geistiges existentiell zu verstehen/erleben?
Verstehe ich dich im zweiten Teil richtig? Die Psychologie (bzw. Philosophie) hat wieder Einzug in ökonomische Diskurse gefunden? Da stimme ich zu. Spannend finde ich deine Bemerkung: "eine Ökonomie die den Menschen in den Mittelpunkt stellt" kann sich diesen Themen nicht verschliessen. Ist das ein Wunsch bzw. Ideal oder eine Feststellung, dass der Mensch in den Mittelpunkt gestellt wird? Meine Wahrnehmung ist, dass wir den Menschen mit seinen Konsumbedürfnissen, nicht aber mit seinen kulturellen Bedürnissen in den Mittelpunkt stellen. Und daraus resultiert über weite Strecken (Ausnahmen natürlich ausgenommen), dass wir die Philosophie bzw. Psychologie in den Dienst der Wirtschaft stellen. Es geht meiner ansicht nach nicht darum, dass die Philosophie über die Wirtschaft herrschen sollte (siehe Kommentar zu Heidegger II), sondern darum, das der Ökonomismus einen Gegenpol in der Kultur (im weitesten Sinn) erhält.
Da komme ich wieder auf das Thema "frei zu wachsen" zurück. Ich denke, dass die meisten von uns von klein auf Dinge lernen, "die man später im Beruf benötigt". Weniger geht es darum, Dinge zu lernen, um "später einmal Heidegger, Kant, oder sich selber zu verstehen". Beides ist aber nötig um "frei zu wachsen". Die Ökonomischen Paradigmen sind in unserer Zeit sehr stark - vielleicht ändert sich das gerade??
Spannend finde ich, dass wir immer wieder bei den Bedürfnissen ankommen. Es scheint sich im Kern immer wieder auf diese Frage zuzuspitzen. Du erinnerst dich an die Diskussion, ob die Maslowsche Pyramide gilt, oder ob die Bedürfnisse gleichwertiger nebeneinander stehen.
Sobald wir die Pyramide verneinen und Bedürfnisvielfalt deklarieren, macht der ökonomische Fokus immer weniger Sinn und ein kulturelles (zwischenmenschliches, geistiges, etc.) Gegengewicht wird wichtiger. Wenn wir die Pyramide bejahen, dann ist dein Argument sinnvoll, wenn die materiellen Bedürfnisse schon gedeckt sind. Das Problem dabei - es gibt kein absolutes "gedeckt", sondern immer nur ein Relativ zu den Mitmenschen ("In der Welt sein") und selbst nicht für alle Menschen in Europa sind ökonomischen Grundbedürfnisse halbwegs gedeckt.
Woher kommt aber dann der Fokus auf das Ökonomische, der dich stört? Und wichtiger, gibt es den Fokus wirklich wie von dir postuliert? Meine Beobachtung ist eine Andere. Immer mehr junge schlaue Menschen wollen work-life-balance und keine hardcore Berater jobs. Firmen bemühen sich kreative Freiräume zu schaffen um die Besten zu halten etc. etc. Immer mehr junge Menschen machen freiwillige Arbeit in der dritten Welt etc. 100.000 Tausende Menschen arbeiten ehrenamtlich in NGOs in Österreich. Ist deine Perspektive vielleicht überkritisch?
Übrigens gibt es die Bedürfnisvielfalt im Ökonomischen Mainstream schon lange. Erinnere dich an den Nobelpreis der an Sen (http://de.wikipedia.org/wiki/Amartya_Sen) vergeben wurde. Es geht demnach bei Gerichtigkeitsfragen nicht um die Verteilung von Gütern sondern um die Verteilung von Chancen. In dieser Definition schwingen schon die Begriffe von Wachsen und Freiheit mit.
Was ich an dieser (von Heidegger) phänomenologischen Betrachtungen des Menschen spannend finde ist, dass die Individualität so entscheidend wird. Je mehr wir mit Durchschnitten, Statistiken arbeiten, desto mehr nehmen wir dieser Individualität den Raum und werden abstrakt - am Menschen vorbei. Ich plädiere hier nicht dafür, diesen empirischen, theoretischen Modellen abzuschwören. Sie sind schlichtwegs notwendig. Die Basis. Wir würden irrsinnig werden (und vermutlich noch von Baum zum Baum schwingen) wenn wir nur phänomenologisch unterwegs wären. Bei meinem Microfinance Aufenthalt in Indien (fast 10 Jahre her) war ich übrigens verwundert, dass die NGO nur mit Case Studies gearbeitet hat. Diese Studien haben nichts über die Wirksamkeit des Mitteleinsatzes in Summe gezeigt. Hat mir nicht gepasst. Im Nachhinein würde ich es anderst formulieren. Statistik und viele individuelle Einzelfallbetrachtungen sind die beste Kombination.
Schön finde ich abschließend deinen letzten Absatz. Das "Wachsen" (Selbstentfaltung) wieder in den Mittelpunkt zu bringen. Dann ist das oberste Ziel der Maslowschen Pyramide im Fokus (;-) - die du ja nicht schätzt) und nicht der Boden. Die Orientierung am Oben (Himmel) ist "sinnvoll" - im wahrstem Sinne - wenn wir dabei nicht den ökonomischen Bodenkontakt (Erde) verlieren.
Noch einmal zum Thema Bedürfnisse: Ich glaube Maslow kann ich schon weitgehend zustimmen. Mir stellt sich nur die Frage wie weit die materiellen Bedürfnisse gehen. Der Trick unserer Kultur ist doch, dass der Konsum sich nicht nur auf existenzielle Bedürfnisse bezieht, sondern sich in die Spitze der Bedürfnispyramide zieht. Extrem und verallgemeinert formuliert: Das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung wird durch einen Konsumvorgang (Autokauf,...) kompensiert. Und produktive Fähigkeiten werden dem zu erzielenden Konsum untergeordnet. Das beginnt z.T. schon in der Schulausbildung - wo das erklärte Ziel ist, gut auf die Anforderungen der Wirtschaft vorbereitet zu werden (Computer in der Unterstufe als krasses Beispiel). Dabei bleibt der eigenständige Wert kultureller Bildung tendenziell auf der Strecke. Für die Mehrheit der Menschen sind geistige Inhalte keine Nahrung für existenzielle Bedürfnisse - und wir leben in der reichsten aller bisher bekannten Gesellschaften. Die von Dir beschriebenen Entwicklungen (NGOs,...) erkenne ich natürlich vollständig als positive Entwicklung an. Und von daher ist ja noch viel Gutes zu hoffen.
Was Du von der Individualität sagst, das kann ich nur unterschreiben. Statistik und Modelle abschaffen ist ja kein Thema. Gefährlich wird es, wenn sie das Individuum ersetzen - aber das hast du alles schon gesagt.
Möchte noch ein Thema einbringen und um Deine Meinung fragen: Heidegger bedient sich in seinen Darstellungen bekanntlich etymologischer Verfahren. Begriffe werden mit anderen über Bedeutungs- und Lautzusammenhänge in Verbindung gebracht. So entstehen Bedeutungshorizonte, die uns ja schon aus der altgriechischen Sprache bekannt sind. Der Fokus auf die Bezeichnung wird aufgehoben und an dessen Stelle ein Bedeutungshorizont mit dem Attribut "wesentlich" gesetzt. Man könnte sagen ein Begriff wird dadurch verklärt oder andersherum: Ein Heidegger-Gedanke wird über die Begriffskonstruktion einem Wort aufgeprägt. Dadurch wird er Fassbar als "Gestell" oder "Geschick". Dazu hab ich im Anschluss an die Lektüre von Bourdieus "Die politische Ontologie Martin Heideggers" zwei Gesichtspunkte:
1. Ich empfinde die Ergebnisse Heideggers oft als Verklärung des Tatsächlichen, statt als Erweiterung des konkreten. Das wirft uns doch zurück vor die Aufklärung? Was kommt nach der Aufklärung? Es muss doch konkret bleiben - auch wenn es wesentlich wird. Kann es sonst nicht passieren, dass wir nazistische Gleichschaltung zur Gemeinschaft verklären - und gerade das wesentliche verpasst haben? Damit wäre das was Heidegger wesentlich nennt, eine einfache Verklärung, die das wesentliche verpasst.
2. Wenn wir an Denkweisen der Vorsokratiker nahtlos anschliessen und in einer gewissen Verklärung in Bedeutungszusammenhängen denken entziehen wir die Philosophie doch dem geschichtlichen Werden. Wir sagen: sie war immer schon wahr in den Vorsokratikern, die auch für uns noch Gültigkeit haben. Heidegger geht ja nicht über die Wahrnehmung, sondern über das wesentliche Denken. Ich denke aber, Wahrnehmung und Denken müssen immer gemeinsam weiter. Sonst sind wir doch immer der Gefahr der spekulativen Philosophie ausgesetzt. Ich dachte einfach, wir hätten die Phase der reinen spekulativen Philosophie schon hinter uns. Aber wahrscheinlich denke ich noch nicht
1. Hier würde es mich vorweg noch interessieren, was du mit Tatsächlich und was als Konkret bezeichnest. Mir ist der Unterschied so nicht klar.
Eine andere Frage wäre, wie du sonst zum zum Konkreten kommst? Sofort und unmittelbar ohne Kontext? Auch wenn du dich auf die Blume fokussierst und deine Gedanken wahrnimmst, versuchst dich auf die Wirkung zu konzentrieren, läuft dein Kontextprogramm im Hintergrund. Darum besser das Programm bewusst machen. Um das geht es doch glaube ich? Aber was weiß ich...bei Heidegger gehts mir wie bei der Diss -mal denke ich, dass ich Ihn habe und dann entzieht er sich wieder.
Dein Beispiel ist natürlich ein krasses uns starkes. Gerade Heidegger vorzuwerfen, dass er das Wesentliche (Sein) verpasst. Blasmephie. Gut so - Nietzsche hält uns wach. Die Gefahr ist, dass alles so weit und offen, dass der Kern das Konkrete (welches sich oft sozial oder politisch ergibt) nicht mehr getroffen wird. Ich mag das Wechselspiel im Denken/bei der Analyse/beim Arbeiten. Zuerst möglichst weite Räume (ohne soziales-politisches Moment) aufspannen und dann aus dem Raum wieder zurück in den Fokus zu gehen. Das kostet Zeit bietet aber Kontext. Das Wesen zeigt sich glaube ich nach Heidegger eben im Kontext, den nichts ist isoliert und alles verbunden. Das Gegenteil ist das mathematische Modell in meiner Diss - hier werden nur die stärksten Wechselwirkungen herauskristallisiert und der ganze Rest bleibt unberücksichtigt. Wenn der Schritt zu auf die "offensichtlich" stärkste Wechselwirkung zu schnell erfolgt, dann ist die Gefahr - andere verstecktere oder scheinbar schwächere Wechselwirkungen zu übersehen. Könnte das eine Interpretation sein? - schon gespannt auf deine Antwort. Ich genieße dieses Denken, für das ohnehin wenig Zeit ist. Ein Gegenprogramm. Ich denke, dass wir auch nicht vergessen sollte, wann und wieo er dieses Programm als so notwendig ersehen hat. Es war eine Gegenbewegung zum Scientismus. Heute sind diese Forderungen im wissenschaftlichen Umfeld ja deutlich aktzeptierter. Viele der psychologischen Schulen bauen auf Husserl oder Ihn auf etc. etc..
2. Ich denke, dass Heidegger stark über die Wahrnehmung geht. (1.Befindlichkeit-2.Verstehen-3.Rede) statt (1.Denken-2.Wollen-3.Fühlen). Diese Unterscheidung hat kürzlich ein Heidegger Philosphie Prof. so erklärt. War mir in dieser Einfachheit so nie klar. Dir? Liest sich so angeblich aus Sein und Zeit. "In der Befindlichkeit liegt existenzial eine erschließende Angewiesenheit auf Welt, aus der her Angehendes begegnen kann".[Sein und Zeit, A, §29, S.3] Die Wahrnehmung drückt sich zuerst mal durch die Befindlichkeit aus. (Nächstes Fragezeichen?) Mich verwundert immer wieder wieso gerade solch vergeistigte Texte die Befindlichkeit vor das Denken setzen. Wie kann die Befindlichkeit spekulativ sein? Die Befindlichkeit aggregiert und wertet alle Kontexte und drückt sie aus. Während die Ratio eher nur einzelne Wechselwirkungen rausfiltert.
Gespür- oder?, wie Goethe im Vermächtnis schreibt: "Den Sinnen hast du dann zu trauen; Kein Falsches lassen sie dich schauen, Wenn dein Verstand dich wach erhält. Mit frischem Blick bemerke freudig, Und wandle sicher wie geschmeidig Durch Auen reich begabter Welt." Hier aber wiederum in [Sein und Zeit, A, §29, S.5], damit es nicht zu einfach wird. "Man wird die Aufweisung der existenzial-ontologischen Konstitution des erkennenden Bestimmens in der Befindlichkeit des In-der-Welt-seins nicht verwechseln wollen mit einem Versuch Wissenschaft ontisch dem Gefühl auszuliefern." Wie siehst du das, gilt diese zentrale Rolle der Befindlichkeit "nur" hinsichtlich der Erschließung des Dasein, oder weiter?
Ich finde deinen Gedanken und meine Fragen auf jeden Fall so spannend, dass wir hier dran bleiben sollten. Vielleicht schaffen von deiner Frage und dieser Antwort zum "Denken" bei Heidegger.